Zwangsarbeit im Nationalsozialismus - wiedergutgemacht?

Dieser Text als druckerfreundliches pdf-dokument

"Das, was wir nach der Befreiung erlebt haben, war schlimmer als die Gefangenschaft selbst" wird Klawdija Panteleewna Agafomowa zitiert auf einer Tafel in der Ausstellung "In Hamburg ist meine Jugend geblieben" über Zwangsarbeit in Hamburg während des Nationalsozialismus. Die im Hamburger Rathaus im Februar gezeigte Ausstellung endet mit den Abschnitten "Nach dem Krieg" und "Besuchsprogramm für Hamburger Zwangsarbeiter". Auf der Tafel "Erneutes Unrecht" wird durch mehrere Zitate wie dem der ehemaligen Zwangsarbeiterin Klawdija Panteleewna Agafomowa nahegelegt, dass die Zwangsarbeit nicht so schlimm war wir die Behandlung durch die "stalinistische Bürokratie".
Eine Slawistikstudentin steht entgeistert vor dieser Präsentation: "Diese Ausstellung ist total beschönigend, als das richtig Schlimme erscheint hier die Behandlung in der Sowjetunion und Hamburg ist Weltmeister im Wiedergutmachen - wenn auch spät." Auf meine Nachfrage, ob sie denn schon die anderen Teile der Ausstellung gesehen habe, ergänzt sie: "Ja, ein Drittel der Ausstellung über Zwangarbeit nimmt die Zeit nach dem Krieg ein, die Highlights sind die Verbrechen der Sowjetunion und die Humanität der Stadt Hamburg, die neue Brillen, Hörgeräte und den Besuch in der Kleiderkammer für die ehemaligen Arbeitssklaven bereit hält."
Karin Schawe, die seitens der KZ-Gedenkstätte Neuengamme die Ausstellung mit organisiert, antwortete auf direkte Nachfrage dazu ausweichend: "Es sind die Erfahrungen, Bewertungen und Aussagen von den nach Hamburg eingeladenen ehemaligen Zwangsarbeitern. Diese haben in der Ausstellung ihren Niederschlag gefunden." Auf die Frage, warum gerade die präsentierten Äußerungen ausgewählt wurden, ging sie nicht ein. Dass beim Ausstellungsbesucher so der Eindruck von Aussöhnung erzeugt wird, ist vor dem Hintergrund der Brutalität und des Ausmaßes der Zwangsarbeit, welche für die Deutschen geleistet werden musste, mehr als fragwürdig.
Ende 1944 mussten auf dem Gebiet des "Großdeutschen Reiches" zwangsweise bis zu 10 Millionen Menschen aus den besetzten Ländern, vor allem aus der Sowjetunion, in allen Zweigen der Wirtschaft arbeiten. Allein in Hamburg schufteten fast eine halbe Million ZwangsarbeiterInnen aus 26 Ländern in allen Bereichen, von der Bombenräumung bis zur Fischkonservenindustrie. Die Menschen aus Osteuropa waren dabei besonderer Willkür ausgesetzt: "Die Ausländerabteilung der Gestapo ließ 20 Ostarbeiter aus dem Lager Lederstraße in den Winsbergen erschießen, weil sie angeblich Kleidungsstücke und Fischkonserven gestohlen hatten." Auf einer anderen Ausstellungstafel geht es um den Rüstungsbetrieb Noleiko: "Sowjetische Zwangsarbeiterinnen protestierten im November 1943 gegen die schlechte Ernährung und verweigerten die Arbeit. Fünf Frauen wurden daraufhin von der Gestapo als ‚Rädelsführerinnen' verhaftet und am 15. November 1943 in den Winsbergen von Gestapo-Angehörigen exekutiert."
Hamburgs heute größte Werft, Blohm und Voss, setzte "in großem Umfang KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter ein", hatte gar ein eigenes Lager mit 600 sowjetischen Zwangsarbeitern direkt auf dem Werftgelände sowie eine Außenstelle des KZ Neuengamme mit 500 Häftlingen, von denen die meisten Blohm und Voss tot verließen.
Im Abschnitt "Nach dem Krieg" geht es anschließend um die schlechte Behandlung in der Sowjetunion, durch den die bedrückende Darstellung der Zwangsarbeit eingerahmt wird: "In ihrer Heimat wurden sie von der stalinistischen Bürokratie und der sowjetischen Gesellschaft als ‚Vaterlandsverräter' angesehen. Unzählige wurden in sowjetische Arbeitslager eingewiesen."
Während die Zwangsarbeit in Deutschland laut Ausstellung hauptsächlich das Werk der Gestapo war und die Rolle der deutschen Gesellschaft, der deutschen TäterInnen im Arbeitsalltag und beim Einsperren der ZwangsarbeiterInnen verschwiegen wird, ist die Analyse ebenso schonungslos wie pauschal, wenn es gegen die Sowjetunion geht.
Das verwundert, wurde die Ausstellung doch von MitarbeiterInnen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erstellt - allerdings in Koordination mit dem Hamburger CDU-Senat, was sicher bei der Ausrichtung eine Rolle gespielt haben wird. Eine Auskunft hierzu war nicht zu erhalten, aber anders ist der letzte Abschnitt "Ein Besuchsprogramm für Zwangsarbeiter" kaum zu erklären: Auf der Tafel "Erinnerungen und seelische Erleichterung" wird es als Wiedergutmachung durch Hamburg dargestellt und nicht als Initiative einiger Engagierter, welche dieses Programm der Stadt mehr oder weniger abgerungen haben.
Die Ausstellung endet mit der Aussage, dass Besuche in Hamburg am Ort ihrer Zwangsarbeit "seelische Erleichterung" bringen. Ohne dies bestreiten zu wollen, ist dies in einer Ausstellung, die sich an die Nachfahren der TäterInnen richtet, Versöhnung statt Aufklärung. Deutsche Besucher erfahren, was ZwangsarbeiterInnen denken, wenn sie an den Ort ihrer Zwangsarbeit zurückkehren: Auf der Tafel "Spurensuche in Hamburg" heißt es ganz allgemein: "empfinden die Betroffenen eine tiefe Befriedigung, diese Orte noch einmal gesehen zu haben." Hamburg kann sich auf die Schulter klopfen für diese humanitäre Leistung.
Zwangsarbeit war schlimm, aber nun ist alles bewältigt? In der Eröffnungsrede erklärte der Präsident der Hamburger Bürgerschaft, Bernd Röder,: "Das Wort Holocaust steht damit nicht nur für Schrecken, sondern ist auch - vielleicht, weil es ein Fremdwort ist - Ausdruck des Beginns der tatsächlichen Verarbeitung der Ereignisse der Jahre 1933 bis 1945. Er deutet auch an, dass wir uns der Schuld für die Tötung von Millionen von Menschen bewusst wurden. " Röder redet hier einer "tatsächlichen Verarbeitung" der nationalsozialistischen Verbrechen das Wort. Und zeigt damit ein Geschichtsverständnis, dass einer Erinnerungsarbeit, für welche die Gedenkstätte des KZ Neuengamme steht, welche das Material für die Ausstellung besorgt hat, entgegensteht. Dass Röder in seiner Rede zum Thema Zwangsarbeit beständig vom Holocaust sprach, also von der Vernichtung der Juden und Jüdinnen, als hätte er versehentlich das Redemanuskript für den 27. Januar ausgepackt, schien während der Ausstellungseröffnung niemanden zu irritieren.
Im Flyer für die Ausstellung stellte Röder gleich zu Beginn klar, worum es geht: "Das Jahr 2005 ist ein Jahr, in dem ein entscheidendes Ereignis im Mittelpunkt steht. Vor genau 60 Jahren war der Krieg, der Hamburg und ganz Deutschland verwüstet und seine Menschen ins Elend gestürzt hatte, zu Ende." Zuerst geht's um die Deutschen, an zweiter Stelle um die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter: "Für eine halbe Million Frauen und Männer, die in Hamburg Zwangsarbeit leisten mussten, war 1945 das Jahr der Befreiung".
Dass Röder in der Rede zur Ausstellungseröffnung vom "Ausdruck des Beginns der tatsächlichen Verarbeitung der Ereignisse von 1933 bis 1945" sprach, passt. Im Rahmenprogramm zur Ausstellung fand am 10. Februar die Veranstaltung "Entschädigung der Zwangsarbeiter - eine Bilanz" statt. Es referierte dort niemand von den Opferverbänden, die jahrzehntelang um die 1999 gewährte geringe Entschädigung kämpfen mussten, sondern ausgerechnet Günther Saathoff, offizieller Vertreter der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Es ist dies die Stiftung der Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches, der Bundesrepublik Deutschland, und der deutschen Industrie, welche zuvor mehr als 50 Jahre lang jede Entschädigungszahlung solange hinausgezögert hat, bis finanziell für sie schmerzhafte Verurteilungen durch US-amerikanische Gerichte drohten.
Die Ausstellungsorganisatorin Karin Schawe stellte sich auf Nachfrage hinter die Entscheidung, Saathoff eingeladen zu haben: "Wir sind sehr froh, dass Herr Saathoff zugesagt hat. Er wird sich in einer öffentlichen Veranstaltung den Fragen des Publikums stellen." Dass solch eine regierungskonforme Informationsveranstaltung nicht nur auf Gegenliebe stößt, mussten die VeranstalterInnen im gediegenen "Bürgersaal" des Rathauses feststellen: Saathoff hielt seinen Vortrag vor einem Publikum, aus dem ihm Transparente mit den Aufschriften "Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen ist die Fortsetzung nationalsozialistischer Willkür" und "Noch unverfrorener als die Verharmlosung der Vergangenheit ist nur der Wille, aus einer nicht verharmlosten Vergangenheit nationales Selbstbewusstsein zu schöpfen (Wolfgang Pohrt)" entgegengehalten wurden. Kritische Zwischenrufe Einzelner wurden jedoch von anderen Anwesenden empört als "intolerant" zurückgewiesen.
Am zahlen- und detailversessenen Vortrag des Referenten, der wiederholt beteuerte, dass es ihm darum gehe, dass auch jeder Cent bei den Opfern ankomme - dafür wurde sogar ein "Prüfdienst" eingerichtet, der die Banken in den osteuropäischen Staaten ebenso unter die Lupe nimmt wie die Buchführung der Partnerorganisationen -, prallten grundsätzliche Kritiken völlig ab. Als einer der Transparentträger einwarf, er könne nicht ertragen, dass sich hier jemand als Wohltäter aufführen könne, der von den Überlebenden von KZ-Haft und Zwangsarbeit verlange, dass sie ein Papier unterzeichneten, in dem sie sich verpflichteten auf jegliche Rechtsansprüchen gegen die Unternehmen oder die Bundesrepublik zu verzichten, wurde dieser von lauten Unmutsbezeugungen unterbrochen und die Veranstaltung drohte einen Moment zu kippen.
Der Unruhestifter aber verließ den Saal und so konnte fortgefahren werden. Der Referent hatte genug Raum um auszuführen, wie sehr die deutschen Stellen heute als Anwalt der Opfer auftreten und diese Interessen auch gegenüber den ehemaligen Feindstaaten durchzusetzen wüssten: Die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" würde Projekte fördern, die den Überlebenden die Möglichkeit gäben, über ihr Leben zu berichten. Ein zentrales Anliegen sei vielen ehemaligen ZwangsarbeiterInnen die Rehabilitierung im Heimatland. Vor dem Hintergrund der Entschädigungszahlungen können sie nun einfordern: Die Deutschen haben sogar gezahlt - wann kriegen wir endlich was von euch für GULag, Ausbildungsverweigerung und Stalinismus? Die Stiftung macht sich damit keine Freunde bei den ausländischen Regierungen, wusste Saathoff mit Genugtuung zu berichten.
Auf die Nachfrage eines Mitglieds des Auschwitzkomitees, warum die Stiftung Erinnerung und Zukunft nicht die Gedenkveranstaltung anlässlich des 27. Januars in der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik unterstützt habe, auf der ehemalige Auschwitzüberlebende von ihrem Leiden berichteten, antwortete der Vertreter der Stiftung, dies müsse daran gelegen haben, dass der Antrag nicht dem Profil des Förderprogrammes entsprochen habe.
Wo sich Saathoff ausbreiten konnte, schwiegen die VeranstalterInnen vom Geiz gegenüber Zwangsarbeitern, obwohl der Hamburger Senat gerade vor zwei Monaten im Haushalt 2005 die Mittel für das Besuchsprogramm ehemaliger ZwangsarbeiterInnen drastisch gekürzt hat: "Die bereits angelaufenen Vorbereitungen für die Einladung zweier ehemaliger Zwangsarbeitergruppen aus Weißrussland und den baltischen Staaten für das Jahr 2005 wurden sofort abgebrochen", wie Karl-Heinz Schultz vom Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erklärt.
"Der scharfe Kurswechsel der Hamburger Bürgerschaft stürzt den Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme in große Probleme" bilanzierte Klaus Möller. Diese Statements bekommt aber nur zu sehen, wer das in kleiner Auflage fotokopierte Infoblatt des Freundeskreises liest. Im großen Rahmen sieht alles nach rosaroter Versöhnung aus. Karin Schawe sieht auf Nachfrage darin keinen Widerspruch: "Es ist das Anliegen der Ausstellung, den Bürgern der Stadt und den Politikern zu zeigen, wie wichtig dieses Besuchsprogramm ist für die Menschen, die darüber eingeladen werden können, auch vor dem Hintergrund der Kürzungen." Die öffentliche Auseinandersetzung wird zurückgestellt zugunsten der Versuches, den CDU-Senat mit der zur Schau gestellten Dankbarkeit ehemaliger Zwangsarbeiter davon zu überzeugen, doch bitte nicht mehr zu kürzen.
Die Willi-Bredel-Gesellschaft, die in Hamburg-Fuhlsbüttel zwei Zwangsarbeiter-Baracken restauriert hat und dort eine kleine Dauerausstellung über Zwangsarbeit unterhält, ist da offener: "Der Unterhalt und Ausbau wurde mit Eigenmitteln und Förderung der Kulturbehörde finanziert. Die laufende Förderung wurde 2004 um 25 % gekürzt", wie der Vorsitzende Hans Matthaei auf Anfrage erklärt, und: "Angesichts der Bedeutung des Themas Zwangsarbeit haben wir versucht, die Baracken an ‚Neuengamme' als weitere Außenstelle abzugeben. Die Verhandlungen sind nach dem Regierungswechsel zu von Beust und Schill gescheitert."

Gaston Kirsche (gruppe bricolage)

"In Hamburg ist meine Jugend geblieben" - Zwangsarbeit in Hamburg 1940-45. 21. Januar bis 11. Februar 2005, Rathausdiele im Hamburger Rathaus. Ab März als Wanderausstellung ausleihbar bei der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. http://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de

"Zwangsarbeiter und Zwangsarbeit im Norden Hamburgs 1943-45". Dauerausstellung der Willi-Bredel-Gesellschaft. Wilhelm-Raabe-Weg 23. Geöffnet jeweils am 1. Sonntag im Monat von 14-16 Uhr, ab 3. April. http://www.bredelgesellschaft.de/schoeps/baracke.htm

Zuerst erschienen in: "die jüdische" 15.02.2005
 
Für einen Verweis auf diese Seite bitte nur die folgende Adresse verwenden:
www.gruppe-bricolage.org/archiv/frame-aktuell.html [Hinweise zum Setzen eines Verweises auf unser Archiv]

[Zurück zur Archivübersicht]