»Wir haben dieses KZ mit allen seinen Gebäuden eigenhändig errichten müssen. Viele der Gebäude sind in den letzten 55 Jahren von der Freien und Hansestadt Hamburg gewinnbringend genutzt worden. Und jetzt soll nicht einmal genug Geld da sein, um allen noch lebenden ehemaligen Häftlingen zu ermöglichen, dort endlich eine würdige Gedenkstätte zu sehen.?«
(Fritz Bringmann, ehemaliger Neuengamme-Häftling, Dez. 2004)

Für würdige Gedenkfeiern am 60. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des KZ Neuengamme

Dieser Text als druckerfreundliches pdf-dokument

Der 4. Mai wird von den Überlebenden des Hamburger Konzentrationslagers Neuengamme als Tag ihrer Befreiung gefeiert. Sechzig Jahre war es ihnen nicht möglich am Ort des Verbrechens zu gedenken, weil sich ein Gefängnis auf dem Gelände des ehemaligen Häftlingslagers befand. Nachdem die Justizvollzugsanstalt endlich verlegt wurde, richten der Senat und die KZ-Gedenkstätte Neuengamme Anfang Mai die Eröffnung der neu gestalteten Gedenkstätte aus. Bürgermeister, Kultursenatorin und Staatsministerin feiern in diesen Tagen ihre Gedenkpolitik, aber den meisten der ehemaligen Häftlinge ist die Teilnahme an der Einweihung der Gedenkstätte nicht möglich: Der Senat will für den Großteil der Kosten nicht aufkommen! Nur ein Bruchteil der „eingeladenen“ Überlebenden wird nach Hamburg kommen. Wofür wird die Gedenkstätte errichtet, wenn diejenigen, die im KZ erniedrigt und gequält wurden, am Tag der Einweihung, dem Jahrestag ihrer Befreiung, zu teuer sind? Für diejenigen Überlebenden, die trotzdem da sein werden, sollen die Feierlichkeiten ein Akt des Gedenkens an ihr Leiden und das der Abwesenden und Verstorbenen sein, der Erinnerung an die ermordeten Mithäftlinge und der Freude über die Befreiung von der nationalsozialistischen Barbarei. Deswegen rufen wir auf:
LASST DIE ÜBERLEBENDEN DES KZ NEUENGAMME NICHT MIT DEM SENAT ALLEIN – NEHMT TEIL AN DEN GEDENKFEIERN!

Die Gedenkstätte
1948 errichtete die Freie und Hansestadt Hamburg genau auf dem Gelände und in den Gebäuden des ehemaligen Häftlingslagers des KZ Neuengamme eine Justizvollzugsanstalt – „um die furchtbaren Entsetzlichkeiten der vergangenen Epoche ... allmählich aus der lebendigen Erinnerung auszulöschen“, wie es Bürgermeister Max Brauer 1951 formulierte. Ende der 60er Jahre errichtete die Stadt dort ein zweites Gefängnis, diesmal im Bereich der ehemaligen Tongruben.
Über Jahrzehnte mussten die Überlebenden für eine Gedenkstätte am Ort des Verbrechens kämpfen. Erst 1989 wurde mit Senatsbeschluss die Verlegung der älteren Justizvollzugsanstalt festgelegt, um endlich die Errichtung einer würdigen Gedenkstätten am Ort des ehemaligen Schutzhaftlagers zu ermöglichen. Gemeinsam mit Überlebendenverbänden wurde ein Konzept erarbeitet und in der Bürgerschaft beschlossen. Die Wahlen 2001 ermöglichten der CDU mit Hilfe der rechts-populistischen Partei Rechtstaatliche Offensive und der Liberalen eine Regierungskoalition zu bilden, mit deren Mehrheit alle vorherigen Beschlüsse rückgängig gemacht werden sollten. Nur aufgrund massiver internationaler Proteste und der persönlichen Intervention von VertreterInnen der internationalen Überlebendenorganisation »Amicale Internationale KZ-Neuengamme « wurde der Senat gezwungen einzulenken und kehrte zur vorherigen Beschlusslage zurück.

Gedenkpolitik in Hamburg
Am 30. Juni 2003 wurde das seit 1948 bestehende Gefängnis verlegt und das Gelände an die Gedenkstätte übergeben. Wer jedoch gehofft hatte, dass mit dem Abriss der JVA und der Umgestaltung endlich ein Ort des würdigen Gedenkens an die Opfer der deutschen Verbrechen und eine Gedenkstätte entstehen würde, die weiterhin auf der Seite der Überlebenden steht, sah sich getäuscht.
2004 sollte eine Veranstaltung der KZ-Gedenkstätte stattfinden, deren Inhalt den Nationalsozialismus und insbesondere die deutschen Verbrechen in den Konzentrationslagern relativiert. Unter dem Titel „Leben mit dem Massengrab” sollte ein Bundeswehroffizier, der sich zudem von der rechtsextremen Zeitung »Junge Freiheit« hatte interviewen lassen, Auskunft darüber geben, ob deutsche SoldatInnen der Bundeswehr hin-reichend ausgebildet sind, um die traumatischen Erlebnisse eines Auslandseinsatzes zu verarbeiten. Die Veranstaltung wurde von AntifaschistInnen verhindert.
In diesem Jahr machte die KZ-Gedenkstätte Neuengamme eine Informationsveranstaltung über den aktuellen Stand der ZwangsarbeiterInnenentschädigung. Als einziger Referent war ein Vertreter der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« geladen – VertreterInnen der Verfolgtenverbände nicht. Dadurch war von vornherein jede Kritik an dem unwürdigen und lediglich auf Rechtssicherheit für deutsche Betriebe ausgerichtetem Procedere der „Entschädigung“ verhindert.
Am 4. Mai 2005, 60 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, wird die neugestaltete KZ-Gedenkstätte Neuengamme eröffnet. Erstmals richtet der Hamburger Senat – nicht die Überlebendenverbände – die Zeremonie aus. Es wird keine Gedenkveranstaltung werden, die diesen Titel verdienen würde: So steht in den öffentlichen Ankündigungen weder die Ehrung der Ermordeten oder das Schicksal der ehemaligen Häftlinge noch die Befreiung der Opfer vom Nationalsozialismus im Mittelpunkt dieser Veranstaltung. Im Vordergrund steht vielmehr die Eröffnung der neuen Gedenkstätte.
Die vom Senat versandte „Einladung“ an die hochbetagten Überlebenden wies darauf hin, dass sie die Kosten für die Reise selbst aufzubringen hätten. Erst auf nachhaltigen Druck wurden partiell Reisekostenzuschüsse gewährt. Für Begleitpersonen oder für Angehörige werden überhaupt keine Reisekosten übernommen.

»Euer Leiden, Euer Kampf und Euer Tod sollen nicht vergebens sein!«
(Mahnmal KZ-Gedenkstätte Neuengamme)
Eine solche Gedenk- und Erinnerungspolitik im Land der Täter und Täterinnen richtet sich gegen die Opfer und Überlebenden der nationalsozialistischen Verbrechen. So hat die Stadt Hamburg das Geld für die neue Gedenkstätte und feiert sich nun hauptsächlich selbst – nur für die Reisekosten, die Verpflegung, Unterbringung, Betreuung der ehemaligen Häftlinge zum 60. Jahrestag der Befreiung ist zu wenig Geld vorhanden. Trotz alledem rufen wir auf im Mai zu den Gedenkfeiern in Sandbostel, Neustadt, Wöbbelin und in Neuengamme zu kommen.
Wer zum 60. Jahrestag in Solidarität mit den Überlebenden und ihren Angehörigen in Ehrung der fast 50.000 Toten des KZ Neuengamme an die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Verpflichtung zum antifaschistischen Kampf erinnern möchte, ist aufgerufen den 4. Mai in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu begehen!

Kasten:
Das KZ Neuengamme
Ende 1938 errichtete die SS das Konzentrationslager Neuengamme. Die Stadt Hamburg schloss mit der SS einen Vertrag, der die Produktion von Klinkersteinen für die beabsichtigte Neugestaltung von Hamburg zu einer „Führerstadt“ vorsah. Im Verlauf des Krieges deportierten die Gestapo und der Sicherheitsdienst der SS zehntausende Menschen aus allen besetzten Ländern Europas ins KZ Neuengamme. In Neuengamme und den mehr als 80 Au-ßenlagern mussten die Häftlinge Schwerstarbeiten nunmehr auch für die deutsche Kriegswirtschaft leisten. Fast die Hälfte der ca. 100.000 Häftlinge fiel den mörderischen Arbeits- und Lebensbedingungen zum Opfer, dem Projekt der „Vernichtung durch Arbeit“. Sie starben körperlich ausgezehrt an Krankheiten und Hunger, sie wurden Opfer von Misshandlungen und Hinrichtungen oder medizinischen Versuchen. Neuengamme wurde komplett geräumt, mindestens 15.000 Häftlinge starben in den letzten Kriegstagen auf Transporten und Todesmärschen, in den Lagern Sandbostel, Wöbbelin und Bergen-Belsen sowie beim Untergang der KZ-Schiffe Cap Arcona und Thielbek in der Lübecker Bucht noch am 3. Mai 1945.


Gedenkfeiern:
Fr./29.4.05 Gedenkveranstaltung in Sandbostel
Mo./2.5.05 Gedenkveranstaltung in Wöbbelin
Di./3.5.05 Gedenkveranstaltung in Neustadt, Lübecker Bucht
Mi./4.5.05 In Neuengamme: /9.30h Religiöse Gedenkfeier /11.00h Gedenkstätteneröffnung bzw. Gedenkfeier ehemaliger Appellplatz /15.00h Gespräche mit Überlebenden

Anfahrt KZ-Gedenkstätte Neuengamme:
A25 Ausfahrt Curslack oder S-Bahn Bergedorf und Bus 227 oder 327 (evtl. gibt es Shuttle-Busse ab Hauptbahnhof oder Bergedorf) Genaueres unter: www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de

Dieser Aufruf wird unterstützt von:
AK Distomo, antifa infopool hamburg, antifa infotelefon hamburg, arachne, Freundinnen des Sachsenhausen-Komitees, gruppe bricolage, Loge Hamburg, Kollektiv Wohnen e. V., Luka Skywalker (Marktstube), Olaf Harms (DKP-Hamburg), Redaktion Salon Rouge im FSK (Trägerin des Alternativen Medienpreises 2004), Plenum der Roten Flora, Neben der Spur, Cluster, Reposte

Flugblatt, erschienen am 18.4.2005.
 
Für einen Verweis auf diese Seite bitte nur die folgende Adresse verwenden:
www.gruppe-bricolage.org/archiv/frame-aktuell.html [Hinweise zum Setzen eines Verweises auf unser Archiv]

[Zurück zur Archivübersicht]