Freies Radio, Antisemitismus kaputt?

Von Gaston Kirsche, Februar 2001

 

Dichtes Gedränge herrschte am Sonntag vorletzter Woche im großen Saal des besetzten Stadtteilzentrums Rote Flora. Dabei war die große Party schon vorbei. Die Volxküche war noch geschlossen - in der Nacht zuvor war sie als Backstagebereich genutzt worden. Hamburgs unabhängiges Radio, das Freie Sender Kombinat, kurz FSK, hatte zum Feiern geladen. Nach sieben Jahren war endlich die Vollfrequenz genehmigt worden, FSK sendet ab sofort auch Sonntags. Live aus der Roten Flora.

Die Übertragungstechnik funktionierte tadellos. Knapp 200 Leute wollten aber trotzdem vor Ort dabei sein, als die Veranstaltung über „Zensur bei FSK? Wieviel Antisemitismus braucht ein freies Radio?“ begann. Viele kamen aus kleinen Redaktionsgruppen, die eine Sendung bei FSK machen. FSK ist eine Art Netzwerk, wo 150 Leute nebeneinander unter einem Dach aktiv sind und ihre eigenen Sendungen machen, die sich sonst nicht einmal auf linken Bündnistreffen begegnen würden.

Am 25. Oktober zogen Achim Schuster und Wolfgang Lettow von der Redaktion Knast und Justiz den Israel/Palästina-Konflikt in einer zweistündigen Sendung knallhart über ihren antiimperialistischen Leisten. Am 2.11.2000 beschloß das für das gesamte Programm verantwortliche Gremium von FSK, die Anbieterinnengemeinschaft, mehrheitlich ein Sendeverbot für beide. Begründet würde das mit antisemitischen Äußerungen in ihrer Sendung vom 25. Oktober, mit der sie die Deutsche Linke zur Solidarität mit Palästina auffordern wollten. Dazu hatten sie einen Studiogast, den sie als „Achmed, einen palästinensischen Genossen“ einführten. Warum ihnen die nationale Zuordnung als Kriterium ausreichte, erklärte sich im Verlauf der Sendung von selbst. Sie brauchten Achmed als authentischen Palästinenser, als Kronzeugen gegen Israel und gegen Linke, die in der BRD für das Existenzrecht Israels eintreten. Achmed sprach Israel klipp und klar das Existenzrecht ab: „Für uns ist Israel nur ein amerikanischer Stützpunkt mit Atomwaffen und

ein bißchen Menschen drauf.“ Weiter erklärte er die Israelis zu den Nazis von Heute: "Die Linken, die die Palästina-Solidarität angreifen, stellen sich auf die Seite der Täter und der Faschisten ... Für uns aus unserer Palästina-Erfahrung nach 50 Jahren Massaker, Vertreibung - Wir haben alles erlebt, was die Juden damals erlebt haben -  KZ, Vertreibung, hundert Millionen von Flüchtlingen, verschiedene Massaker, wir haben alles erlebt, egal in welchen Maßen, aber alles erlebt, was die Juden damals erlebt haben. Und das kam von den Israelis.“

Auf der Veranstaltung am 7. Januar begründete Ole Frahm von der Radiogruppe Loretta, warum diese Gleichsetzung des Vorgehens Israels mit dem Nazideutschlands antisemitisch ist: „Sie betont die Schwere der eigenen Vertreibung und relativiert die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden. Eine unerträgliche Relativierung der Shoah: Wir meinen, daß die "Palästina-Erfahrung" nicht auf die Vernichtung der europäischen Juden

abgebildet werden kann, darf, um damit zu legitimieren, Israelis als "Faschisten" zu nennen.“

Achmed verglich aber nicht nur Nazis und Israelis und ignorierte die Shoah. Er forderte auch Konsequenzen: Die deutsche Linke solle Deutschland endlich dazu bringen, die sogenannte Wiedergutmachung u stoppen. Eine entsprechende Aussage von Achmed aus der kritisierten Sendung wurde auf der Veranstaltung nochmal abgespielt: "Wir fordern nur, daß die Bundesrepublik ihre Unterstützung für Israel einstellt, diese unglaubliche Unterstützung .... Zehntausend Millionen hat Israel pro Kopf von Deutschland alleine bekommen als

Wiedergutmachung". Diese abstruse Rechnung wird erst durch die antisemitische Assoziation Jude = viel Geld möglich. Das ist ein Bild des modernen Antisemitismus, der

ausgehend von dem Klischee des Zinsjuden den Juden mit der Tauschsphäre (und der Börse, bzw. der amerikanischen Ostküste etc.) identifiziert: 20 Millionen Juden vermehren nach Achmeds Berechnung durch Aufteilung 100 Milliarden in 200 Billiarden. Richtig bleiben 5000 DM "pro Kopf", wie Ole Frahm auf der Veranstaltung nochmal nachrechnete.  

Diesen und weiteren antisemitischen  Behauptungen von Achmed widersprachen Achim Schuster und Wolfgang Lettow in der Sendung nicht. Sie hatten ihn ja genau für diese aussagen eingeladen. Achim Schuster und Wolfgang Lettow sind Mitglieder von Forum-Radio, einer der fünf Radiogruppen, die gemeinsam FSK bilden. „Kombinat heißt bekanntlich Mischkonzern, und ein solcher ist FSK auch“, brachte es Ecki vom Stadtteilradio, einer weiteren Radiogruppe auf den Punkt.

Gegen das Sendeverbot gab es innerhalb und außerhalb von FSK massiven Protest, der auch auf FSK selbst verbreitet wurde. Auf der Homepage von FSK heißt es dazu: „In den vergangenen Wochen wurde das Sendeverbot mehrmals übertreten, indem sich Achim und Wolfgang, mit Hilfe diverser UnterstützerInnen, Zugang zu den Studioräumen verschafften.“ Dieser Kampf um die Mikrofone hat ebenso zu einer Zuspitzung des Konfliktes beigetragen wie die Kampagne „Gegen Zensur im freien Radio“, die von Forum-Radio seit zweit Monaten vorangetrieben wird. Ein erster Höhepunkt war dabei eine Veranstaltung unter dem Motto „Senden mit der Schere im Kopf“. Anstatt sich mit der Kritik an den antisemitischen Äußerungen der Sendung überhaupt mal auseinander zu setzen, wurde behauptet, es handele sich bei der Kritik um einen vorgeschobenen „Antisemitismusvorwurf“. Der sei nur ein „Vorwand“, um „antiimperialistische und antikapitalistische Positionen aus dem Sender zu drängen“. Auf mehren Flugblättern wurde dies immer wiederholt.  

In einem Interview in der jungen Welt vom 4. Januar wurden den beiden Opfern antinationaler Machenschaften Raum gegeben. Wolfgang Lettow konnte dort erklären: „Damals wurde das Totschlagargument  »Antisemitismus« benutzt, um eine ungeliebte Sendung abzusetzen, jetzt wird es genutzt, um unliebsame Redakteure loszuwerden.“

Auch auf der Veranstaltung war von den UnterstützerInnen viel von Zensur die Rede und von einem drohenden Rausschmiß des ganzen Forum-Radios.

Die von Ole Frahm vorgetragene detaillierte Kritik der antisemitischen Äußerungen aus der Sendung wurde souverän ignoriert. Auch als Thomas Ebermann als prominenter Gast der Veranstaltung feststellte, nach den vorgespielten Sequenzen könne man die Moderatoren der Sendung vom 25. Oktober nur bei FSK rausschmeißen, wurde darüber hinweg gegangen. Wieder viel Gerede über Zensur bei konsequentem Ignorieren der konkreten Vorwürfe wegen antisemitischer Äußerungen. Es wurde kritisiert, dass Forum-Radio nicht selbst die Chance eingeräumt worden sei, die Sendung zu kritisieren und das es undemokratisch sei, wenn das für das gesamte Programm verantwortliche Gremium von FSK zwei Radiomachern Sendeverbot erteilt. Sicher wäre es besser gewesen, wenn die Kritik der Sendung zuerst in der Radiogruppe ausgetragen worden wäre. Nicht alle Redaktionen, die bei Forum mitmachen, vertreten einen solchen antiisraelischen Antiimperialismus  wie Achim Schuster und Wolfgang Lettow. Aber auf den Treffen von Forum-Radio war immer viel da

von die Rede, wie der „Zensur“ entgegengetreten werden könne, aber wenig von der berechtigten Kritik. Eine Zurückweisung der antisemitischen Äußerungen hat dort intern noch nicht stattgefunden. Vor diesem Hintergrund hat die AnbieterInnengemeinschaft die Notbremse gezogen: Keine antisemitischen Äußerungen auf FSK. Das einzige Mittel, um dies durchzusetzen war das Sendeverbot.

Einen traurigen Beleg dafür lieferte Achim Schuster mit seinem Diskussionsbeitrag auf der Veranstaltung am 7. Januar: Zuerst stellte er fest, „es gibt bis heute keinen Beweis für Antisemitismus.“ Damit schien die entsprechende Kritik für ihn erledigt zu sein. Anschaulich bewies er seine Ignoranz gegenüber jeder Kritik und ging wieder in die Vollen. Er wiederholte die antisemitischen Inhalte der Sendung ungerührt: „Es ging bei Israel um einen imperialistischen Vorposten in der arabischen Welt. Die Wiedergutmachungszahlungen ermöglichten die Besatzung palästinensischer Gebiete und den Aufbau der Institutionen Israels ... Die einzigen, die in der Region Probleme machen, sind die Zionisten gewesen. Die Zionisten machen es den Juden unmöglich, in der Region in Frieden zu leben.“ Nachdem er so Theodor Herzl’s zionistischem Nationalismus die Schuld an den Bomben islamistischer Terroristen in Bussen und auf belebten öffentlichen Plätzen in Israel zugesprochen hatte, fand Achim Schuster auch noch ein paar Worte für d

iejenigen, die in der Linken hierzulande die Probleme machen: „In Duisburg wurde in einer antideutschen Hetzkampagne bis in die bürgerlichen Medien verhindert, dass es eine Demo zur Solidarität mit Palästina gab“. Diese Formulierung findet sich fast wörtlich auch in einer Erklärung zur „Hetzkampagne gegen Palästina-Solidarität“. Darin schlägt eine „Antiimperialistische Koordination“ aus Wien den Bogen bis hin zur Verharmlosung der Shoah: „Der von den linksliberalen Zeitungen ‚konkret‘ und ‚Jungle World‘ geführte Propagandakrieg für den zionistischen Kolonialismus geht von der bürgerlichen These der kollektiven Schuld des deutschen Volkes am Holocaust aus, der den kapitalistischen Klassencharakter des Nationalsozialismus zu verschweigen versucht.“ 

Diese Erklärung hätte bestimmt prima in die nächste Sendung von Achim Schuster für eine Solidarität mit Palästina gepasst. Der Verlauf der Veranstaltung am 7. Januar hat aber gezeigt, dass das Sendeverbot zwar eine Notbremse war, aber antisemitische Äußerungen und Relativierungen der Shoah damit nicht aus der Welt sind. Auf das inhaltliche Angebot der ReferentInnen wurde nicht eingegangen. Weder auf Ole Frahms detaillierte Kritik noch auf Andrea Woeldikes präzise Ausführungen zur besonderen Problematik von Antizionismus vor dem Hintergrund des Antisemitismus in Deutschland. Ole Frahm erklärte gegenüber Jungle World: „Es war schon erstaunlich, wie vollständig die Kritik an den  antisemitischen Äußerungen ignoriert wurde. Es gab offensichtlich keinerlei Bereitschaft, sich mit den Vorwürfen auseinander zu setzen. Sie halten es nicht für nötig, auf die Kritik überhaupt zu antworten. Auch andere Gruppen vom Forum-Radio zeigen bis jetzt keine Bereitschaft, sich mit dem Antisemitismus-Vorwurf auseinanderzusetzen.“

Andrea Woeldike bemerkte gegenüber Jungle World zurecht, das „die Veranstaltung von einer grundsätzlichen Abwehr gegenüber der Kritik geprägt war“. Das Angebot der Veranstalter zur Diskussion wurde von den AnhängerInnen eines Antizionismus ausgeschlagen, stattdessen inszenierten sie sich als Opfer von Zensur. Nach der Veranstaltung wurden die Vorwürfe gegen die KritikerInnen sogar noch verschärft: Andrea Woeldike und Ole Frahm seien autoritär gewesen, hätten ihre Macht als ReferentInnen missbraucht und ähnlicher Quatsch. Von Selbstreflektion keine Spur. So lange wie der Konflikt um Israel und Palästina andauert, solange werden in den Debatten hierzulande auch antisemitische Stereotypen auftauchen. Und hoffentlich zurückgewiesen werden.

 

Mehr zum Thema:

www.fsk-hh.org