Konkret 10/98, S. 38  

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Alptraum Euskadi  

Die baskische ETA orientierte sich in den 60er Jahren an den siegreichen Bewegungen in Algerien und auf Kuba. Heute kennt sie nur noch Basken  

Am 15. Juli 1998 schloß die spanische Regierung mit Polizeigewalt die beiden wichtigsten Medien der linksnationalistischen Bewegung im Baskenland - die Zeitung »Egin«, ihre Druckerei und den gleichnamigen Radiosender. Elf Gesellschafter der Firma wurden wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft verhaftet. Dennoch produziert die »Egin«-Belegschaft weiterhin täglich eine Notausgabe, die »Euskadi Información«.  

Die Proteste gegen die Schließung waren vielfältig. Auch die konservative PNV, die Baskisch-Nationalistische Partei, protestierte in Madrid dagegen, daß die spanische Regierung möglicherweise mit einem Verbot der linksnationalistischen Partei Herri Batasuna noch vor den Regionalwahlen am 25. Oktober den baskischen Nationalismus insgesamt diskriminieren wolle. Die praktische Solidarität der PNV war eher gering. So durfte die »Egin«-Belegschaft die Druckerei der PNV-Tageszeitung »Deia« nicht für die Produktion ihrer Notausgaben benutzen. Vielmehr übte die PNV weiterhin Druck auf Herri Batasuna aus, sich vom bewaffneten Kampf der ETA zu distanzieren und lockte mit einer möglichen parlamentarischen Zusammenarbeit nationalistischer Parteien unter ihrer Führung.  

Herri Batasuna (»Volkseinheit«) erhielt bei den Regionalwahlen 1994 im Baskenland 12,2 Prozent der Stimmen. Als einzige Partei hat sie sich bislang nie von Anschlägen der ETA distanziert. Neben Herri Batasuna umfaßt das linksnationale legale Spektrum im Baskenland (MLNV - Movimiento de Liberación Nacional Vasco/»Baskische Bewegung der nationalen Befreiung«) eine Vielzahl von Organisationen wie etwa die Gewerkschaft LAB oder die Frauenkoordination Egizan. Bis Mitte Juli 1998 hatte die MLNV mit der »Egin« eine eigene Tageszeitung. Die MLNV bezieht sich auf die Guerilla ETA (Euskadi ta Askatasuna/ »Baskenland und Freiheit«).  

Den Kämpfern der ETA gegenüber steht der spanische Staat mit seinem paramilitärischen Polizeiapparat, dem militärischen Geheimdienst CESID und dem Sondergerichtshof Am 1. Dezember 1997 verurteilte das Gericht 23 Mitglieder des Vorstandes von Herri Batasuna wegen Kollaboration mit der ETA zu je sieben Jahren Haft. Herri Batasuna hatte 1996 ein Video als Wahlwerbespot beim Fernsehen eingereicht, welches ihr von der ETA zugespielt worden war. Vermummte stellten darin im Namen der ETA ihr Verhandlungsangebot vor, die »Demokratische Alternative«. Als Gegenleistung für einen Waffenstillstand forderten sie die Freilassung der 600 politischen Gefangenen aus ETA und MLNV, den Abzug der spanischen Armee und Polizei und eine dann folgende Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des gesamten als Baskenland beanspruchten Territoriums sowie ein nationales Selbstbestimmungsrecht.  

Diese vier Punkte sind langjährige zentrale Forderungen der ETA und bereits im »Sieben-Punkte-Programm« von 1978 enthalten. In der »Demokratischen Alternative« von 1996 fehlen die drei Forderungen des »Sieben-Punkte-Programms«, die über nationalistische Kategorien hinausgehen: die »allgemeinen Verbesserungen für die Arbeiter«, die »fortschrittliche demokratische Staatsverfassung« und die »vollen demokratischen Rechte«.  

Der zunehmenden Nationalisierung der Politik der ETA steht eine gesellschaftliche Entwicklung gegenüber, in der sich ein erheblicher Teil der auf dem beanspruchten Territorium lebenden Bevölkerung dagegen verwahrt, zur »baskischen Nation« gerechnet zu werden. Während zwischen 1979 und 1991 die Parteien der verschiedenen baskischen Nationalismen zusammen noch über 50 Prozent der Stimmen erhielten, erreichten sie seitdem keine rechnerische Mehrheit mehr. Insbesondere die in den 50er bis 70er Jahren aus Südspanien zugewanderten Arbeitsmigranten sehen für sich heute keinen Platz mehr in der baskischen Autonomiebewegung. Seitdem sich auch der linksnationalistische Teil der Bewegung von seiner früheren sozialistischen Rhetorik abgewandt hat und nur noch »Freiheit für das baskische Volk« will, gibt es zu den völkischen Phrasen des traditionellen Nationalismus keine Alternative mehr.  

Seit 1996 regiert in Madrid die PP, die konservative Volkspartei. Ihr Vorsitzender Fraga Iribane, der schon unter Franco als Minister diente, war 1990 von Aznar abgelöst worden. Dessen Regierung ist parlamentarisch auf die Tolerierung durch die rechten baskischen Nationalisten angewiesen. Gegenüber der ETA setzt die PP auf verstärkte Konfrontation, Isolierung und Zerschlagung. Die Forderung der ETA nach Friedensverhandlungen wird nicht erfüllt. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat die ETA sechs Kommunalpolitiker der PP erschossen, zuletzt im Mai 1998. Sie führt mittlerweile einen Krieg gegen die untere Funktionärsebene des spanischen Staates. An höhere Chargen, die wirklich Verantwortung in Staatsapparat, Militär oder Wirtschaft tragen, kommt die ETA nur noch selten heran. Der fortgesetzte bewaffnete Kampf ist, anders als zu Zeiten des Franco-Regimes, von sozialen Kämpfen losgelöst und mißt seinen Erfolg allein nach Häufigkeit und Stärke der Anschläge.  

Die Militarisierung politischer Konflikte zeigt sich auch in einer Zunahme spontaner militanter Aktionen von Jugendlichen aus der MLNV. Statt mit Argumenten gehen sie auf politische Gegner immer häufiger mit Molotow-Cocktails und Steinen los. So brannten im August 1998 etwa 100 Vermummte ein vierstöckiges Wohnhaus in Getxo nieder, um die Wohnung eines PP-Kommunalpolitikers zu beschädigen. Im Gegenzug wurden 239 jugendliche Straßenkämpfer allein im ersten Halbjahr 1997 festgenommen. Im Juli 1997 kam es nach der Hinrichtung des PP-Kommunalpolitikers Miguel Angel Blanco durch die ETA zu regelrechten Treibjagden auf Anhänger von Herri Batasuna. Parteilokale wurden belagert und angezündet; Bars, in denen Anhänger von Herri Batasuna verkehren, wurden mit Steinen beworfen und Straßenfeste angegriffen, weil deren Besucher nicht aus »Trauer« aufs Feiern verzichteten. An den Ausschreitungen waren spanische Faschisten genauso beteiligt wie Angehörige der spanischen Polizei in Zivil. So feierte das offizielle Spanien die Rückeroberung der Straßen durch sogenannte Demokraten. Auf der Gedenkveranstaltung der Regierung für Miguel Angel Blanco in der Stierkampfarena von Madrid traten viele Stars auf, deren Biographie eng mit der Franco-Diktatur verknüpft sind.  

In »Egin« stilisierten sich Anhänger der MLNV daraufhin zu Opfern eines antibaskischen Rassismus und setzten ihre Unterdrückung mit der Verfolgung im Nazideutschland gleich. »Das erste, was uns einfiel, war, ein Transparent zu malen mit dem Text: >Wir sind auch Juden<. Wir haben wenig Sympathie für die aktuelle Politik des zionistischen Staates, aber das Markieren von Häusern erinnerte uns an etwas«, schrieben Mitglieder der Ökologiegruppe Eki, deren Büro bei den Ausschreitungen als Herri-Batasuna-Treffpunkt beschmiert worden war. Der antisemitische Reflex ist der konsequente Endpunkt eines militanten Nationalismus, der Konflikte nur noch zwischen ethnisierten Gruppen wahrnehmen kann und soziale Kategorien in den Hintergrund drängt.  

Der baskische Nationalismus im heutigen Spanien ist geprägt durch die Franco-Diktatur von 1937 bis 1975. Der von Franco eingesetzte Bürgermeister von Bilbao, Areilza, erklärte nach der Eroberung im Spanienkrieg 1937: »Bilbao ist mit Blut reingewaschen ... Dieser schreckliche, teuflische Alptraum namens Euskadi, welcher das Ergebnis war von Sozialismus und Schwachsinn, ist für immer besiegt.« In den Städten und auf dem Land wurde die spanisch-nationalistische Kultur mit aller Macht durchgesetzt und alles vermeintlich Unspanische diskriminiert. Nicht nur Baskisch als Sprache, das Euskera, war bis Mitte der 60er Jahre streng verboten, sondern die gesamte als baskisch verdächtigte Kultur. Auf dem Land wurde mit Geldstrafen belegt, wer weiterhin baskische Grußformeln benutzte oder baskische Tracht trug.  

Die systematische Ausgrenzung baskischsprachiger Menschen verstärkte den Prozeß der Selbstethnisierung. Der ETA-nahe Publizist Ortots deutete den Prozeß der Ausgrenzung 1979 gänzlich ins Positive um: »Francos Diktatur hat dem Nationalbewußtsein Kraft gegeben. Der Preis dafür war hoch gewesen. Tote, Gefangene, Folter, Exil, Zerstörung der Kultur.« In den 40er Jahren zogen viele baskischsprachige Landbewohner in die Städte. Ein junger Baske, der 1970 vom Land nach Bilbao kam, beschrieb, was er dort erlebte: »Sie (die städtischen Nationalisten) sagten uns, wir sollten baskische Tänze lernen und unsere Ferien in caserios (typischen Bauernhöfen; g. d.) verbringen, weil Franco die baskische Kultur zerstören würde und das baskische Volk das zurückerkämpfen müsse. Sie fragten mich nie nach baskischer Kultur. Sie erzählten sie mir! Sie waren Basken auf spanisch, und ich war Baske auf euskera. Und ich fühlte immer, daß mein Leben von keinem Interesse für sie war.«  

1959 wurde die ETA gegründet. Sie ging aus der Jugendorganisation der PNV (Partido Nacionalista Vasco) hervor, der ältesten und etabliertesten baskisch-nationalistischen Partei, die, seit 1980 eine Teilautonomie für das Baskenland durchgesetzt wurde, die baskische Regionalregierung stellt und der spanischen Zentralregierung seitdem viele Zuständigkeiten abgerungen hat. Die PNV regiert klerusfreundlich und konservativ-nationalistisch. Der Gründer der PNV und Erfinder der baskischen Nation, Sabino Arana y Goiri, hatte sich hundert Jahre zuvor ausführlich darüber ausgelassen, daß baskisches Blut im Gegensatz zum südspanischen »frei von arabischem und Judenblut sei«.  

Die ETA gründete sich in Ablehnung dieses Blut-und-Boden-Rassismus der PNV und setzte ein kulturalistisches Konzept dagegen, in dem die Nation über die baskische Sprache definiert wurde. Dennoch blieb die ETA in ihrem ersten Programm von 1962 rassistischen Denkmustern insoweit verhaftet, daß sie im ethnopluralistischen Sinn von »Rassen« sprach in ihrer »Absage an den Rassismus und damit an das Prinzip der rassischen Überlegenheit eines Volkes oder einer Rasse über die andere«.  

Anfangs ging es den jungen Kulturkämpfern der ETA vor allem um die »Rückbesinnung« auf die in ihrer Vorstellung egalitäre vorspanische baskische Gesellschaft. Damit richteten sie sich gegen die verstärkte soziale Polarisierung in den Kleinstädten infolge der Industrialisierung der 50er Jahre. Am Ziel der traditionellen PNV, einen eigenen Nationalstaat zu gründen, hielt jedoch auch die ETA fest. Sie forderte einen moderneren Nationalismus, eine »föderalistische europäische Integration, sofern diese über die Nationalitätenebene verläuft«. Auch dem im Programm geforderten Ausgleich zwischen »Arbeit und Kapital als integrierende Teile eines Unternehmens, an dessen Mitverwaltung und an dessen Gewinnen beide teilhaben«, liegt der Gedanke einer harmonischen Nation zugrunde. Dieser Gedanke wurde soweit zugespitzt, daß die ETA eine Garantierung der Menschenrechte forderte, »solange diese nicht ausgenutzt werden gegen die Souveränität Euskadis oder zur Errichtung eines diktatorischen Regimes (sei das faschistisch oder kommunistisch».  

Vorbilder der ETA waren die algerische FLN, die kubanische Revolution und der Vietcong, allerdings weniger deren Programme als ihre Militanz: »Das entscheidende im Vietnamkrieg sind nicht die Kommunisten und die buddhistischen Bonzen. Das entscheidende Moment ist die Konfrontation Nation-Nation, womit die wirkliche Unterdrückung ans Licht gelangt«, erklärte die ETA 1965.  

Die Öffnung der ETA zum Marxismus blieb auf die Übernahme von Versatzstücken beschränkt. Innerhalb der ETA gab es in den 60er Jahren im Zusammenhang mit der Entwicklung des Konzeptes vom »baskischen Arbeitervolk« weitreichende Auseinandersetzungen, in deren Folge 1966 eine Fraktion, die ETA-Berri, ausgeschlossen wurde. Sie »kritisierten die Mehrheitsfraktion wegen ihres nationalistischen Charakters ... Eine der Schlüsselfragen in der Polemik war die Stellung der Immigranten. ETA-Berri betrachtete sie als konstituierenden Teil des baskischen Volkes«, wie Peio Aierbe, Mitglied dieser heute die Organisation Zutik bildenden Linksabspaltung von ETA, 1990 rückblickend schrieb.  

Im Zuge der illegalen Generalstreiks ab 1968 veränderte sich in der ETA die Vorstellung darüber, wer zum baskischen Volk gehören soll. Die Streiks wurden von den Comisiones Obreras organisiert, den in den 60er Jahren von kommunistischen Organisationen aufgebauten Arbeiterkommissionen. Diese illegale Basisgewerkschaft war die wichtigste Organisation des Widerstands gegen Franco und solidarisierte sich mit der ETA gegen die Repression des spanischen Staates. Dadurch setzte sich innerhalb der ETA allmählich die Vorstellung durch, wer gegen den spanischen Staat kämpfe, gehöre zur baskischen Gemeinschaft. Fortan zählten auch die Arbeitsmigranten aus Südspanien, die einen Großteil der Aktivisten in den Comisiones stellten, zum baskischen Volk. Die ETA bekam eine fast sozialistische Ausrichtung und erhielt auch über das Baskenland hinaus breiten Zuspruch. Sie blieb aber weiterhin in Fraktionen gespalten. So beschimpfte beispielsweise die kulturalistische Fraktion die Sozialisten als »Scheiß-Spanierfreunde«, weil diese im Namen der ETA eine Geldspende an die Familie eines von der Polizei ermordeten Bauarbeiters nach Andalusien geschickt hatten.  

Als der ETA 1973 ihre spektakulärste Aktion gelang, war am nächsten Tag nicht nur im Baskenland der Sekt ausverkauft. Sie sprengte Francos Ministerpräsidenten Carrero Blanco in die Luft. Diese Schwächung der Führungsspitze ging einher mit Tausenden von Streiks, die sich nicht mehr verbieten ließen. Auch für die Bourgeoisie hatten die Diktatur und ihr autoritärer fordistischer Staatsdirigismus ihre historische Funktion verloren. Als Franco Ende 1975 starb, war die Diktatur am Ende.  

Der Übergang von der Diktatur zur Demokratie war nahtlos. Die ETA sah sich weiter derselben Polizei und demselben Militärapparat gegenüber und verstärkte ihre militanten Aktivitäten. 1980 wurde die baskische Regionalautonomie institutionalisiert, baskischsprachige Schulen und Fernsehsender aufgebaut. Fördermittel der PNV-Regionalregierung gingen in neue High-Tech-Branchen. Dem Boom für die neuen Mittelschichten standen unsichere Beschäftigungsverhältnisse für die Arbeiterklasse gegenüber.  

1997 wurde in Bilbao auf dem Gelände der früheren Werft »Euskalduna« ein Guggenheim-Museum eröffnet. Das Museum für 270 Millionen Mark hat die Form eines überdimensionalen Schiffes. 1986 wurde, maßgeblich von radikalen, nichtnationalistischen Betriebslinken, mit einer Besetzung militant gegen die Schließung der Werft protestiert. Heute richtet sich die Kritik des linksnationalen Spektrums an dem Museum dagegen, daß dort zuwenig baskische Kunst ausgestellt werde und zuviel Kandinsky, Chagall und Miró.  

Wirtschaftlich war das Baskenland zu Zeiten des Fordismus mit seiner traditionellen Schwerindustrie, besonders seit dem Boom der Montageindustrie in den 50er und 60er Jahren, eine Wohlstandsregion. Mit dem Ende der fordistischen Massenproduktion kam die bis heute anhaltende Strukturkrise. Die Staatsbetriebe aus der Franco-Zeit sind infolge der Öffnung zum europäischen Markt nach dem Beitritt zur EU 1986 längst pleite oder privatisiert. Die Autowerke von SEAT gehören heute VW. Die EU, die der Agrarindustrie und der industriellen Großfischerei Vorteile bietet, bringt den im gebirgigen Baskenland lebenden Kleinbauern und den Besatzungen der kleinen Fischkutter in den Küstenorten nur Nachteile. Die offizielle Arbeitslosenquote 1998 liegt in Gesamt-Spanien bei 18,9 Prozent, bei VW Pamplona haben 98 Prozent der Beschäftigten einen befristeten Arbeitsvertrag. Die abgesicherten Lohnarbeitsverhältnisse der Kernarbeiter nehmen ab.  

Den Verlust an sozialen Handlungsmöglichkeiten, den diese Entwicklung herbeigeführt hat, versuchen die militanten wie die traditionellen Nationalisten durch nationalistische Deutungen der kapitalistischen Umstrukturierung zu kompensieren. So schrieb die Gewerkschaft LAB Ende 1997 in ihrem Grundsatztext »Die Selbstbestimmung der Völker als Alternative zu der vom Neoliberalismus aufgezwungenen Globalisierung«: »Die gegenwärtige Realität Euskal Herrias (baskisches Volk/Land, g. d.) unterliegt den Entscheidungen des spanischen und des französischen Staates. Dies veranlaßt uns, dem Problem der Territorialität einen vorrangigen und dringlichen Charakter zu geben.«  

Deregulierung und Privatisierung wird als Angriff des spanischen Staates auf die baskische Nation verstanden, ETA, LAB und Herri Batasuna sehen sich im antikolonialen Kampf für die nationale Unabhängigkeit. Kolonialismus wird dabei völlig losgelöst von der Kapitalstruktur betrachtet. Obwohl den reichsten Familien des Baskenlandes ein Großteil der zentralspanischen Banken und Konzerne gehört, das Pro-Kopf-Einkommen im Baskenland das zweithöchste der spanischen Regionen ist und im Vergleich zu ärmeren Regionen Spaniens ein sehr stark ausgeprägter Klassengegensatz herrscht, spielen soziale Kämpfe in der MLNV selbst für die Gewerkschaft LAB nur eine untergeordnete Rolle. Ansatzpunkt der LAB sind die »elementaren Rechte der Völker und Arbeiter«, ihr Ziel ist ein »baskischer sozio-ökonomischer Raum«, »eine aus den Völkern erwachsende Entwicklung als Alternative zu einer nach außen orientierten Wirtschaft«. Zwar kritisiert Herri Batasuna die EU als Verbund zur Durchsetzung von Kapitalinteressen und unterstützt soziale Proteste. Allerdings ordnet sie dabei ihre Politik prinzipiell dem Ziel der Unabhängigkeit unter.  

Um dem drohenden Verbot vorzubeugen, hat Herri Batasuna zu den Regionalwahlen am 25. Oktober die offene Liste Euskal Herritarrok (»Baskische Bürger«) initiiert, auf der bekannte Sportler, der Vorsitzende der LAB, Funktionäre der traditionell-nationalistischen Gewerkschaft ELA und auch Mitglieder von Zutik kandidieren, die den bewaffneten Kampf der ETA als Ablenkung und Blockade sozialer Kämpfe kritisieren. Zugleich verhandelt Herri Batasuna mit der konservativen PNV über einen »nationalen Vertrag«. Diese Strategie dürfte ein Verbot von Herri Batasuna erheblich erschweren. Ein weiteres Abrücken der linksnationalistischen Bewegung von linken Positionen zugunsten eines nationalistisch-baskischen Bündnisses wird sie nicht aufhalten.