Rechtspopulismus in Hamburg

 

Im Juli letzten Jahres veröffentlichten wir den Text „Städtische Modernisierung und Restlinke – Zur Auseinandersetzung um die Rote Flora in Hamburg“ (www.demontage.org). Zwischenzeitlich wurde die rot-grüne Regierung in Hamburg abgewählt und durch eine Koalition zwischen CDU, FDP und der rechtspopulistischen Schillpartei ersetzt. Auch in den bürgerlichen Medien wird in der jüngsten Zeit diskutiert, inwieweit es sich um einen Gezeitenwandel handelt, da in den meisten europäischen Staaten rechtspopulistische Parteien enorme Stimmenzuwächse verzeichnen können oder sogar an die Macht gelangen.

In unserer damaligen stadtpolitischen Analyse bestimmten wir unter anderem vier in Hamburg anzutreffende städtische Regulationsstrategien: eine kleinbürgerlich-revanchistische Richtung, einen altfordistischen Re-Regulierungsansatz, eine alternativ-integrierende Tendenz und ein modernistisches weltmarktbezogenes Regime. Auch wenn wir in dieser Analyse vor der Hamburger Wahl die breite Basis für eine revanchistische Strömung von der CDU und der rechten SPD über das Lager der NichtwählerInnen bis hin zu Teilen des alternativen Milieus beschrieben, so waren wir doch überrascht von dem großen Erfolg der Schillpartei. Diese gewann auf Anhieb 19,4 % der Stimmen. Was sagt dieser politische Umschwung über die ökonomische Situation und die mögliche weitere politische Entwicklung aus?

Der heutige Rechtspopulismus hat seine Klassenbasis im vom realen oder vermeintlichen Abstieg bedrohten Kleinbürgertum und in wesentlichen Teilen des deklassierten Proletariats. Die Schillpartei erzielte 2001 vor allem in den ArbeiterInnengebieten und in ländlichen Gebieten im Süden der Stadt ihre höchsten Gewinne und schnitt ganz allgemein unter jüngeren und älteren Männern gut ab. Dabei ist zu beachten, daß in den proletarischen Vierteln das Wahlergebnis anders aussehen könnte, wenn der dortige große Anteil n MigrantInnen, die kein Wahlrecht besitzen, mitwählen könnte. Unterdurchschnittlich erfolgreich war die Schillpartei dagegen in urban-bürgerlichen Wohngebieten des städtischen Zentrums. In den Milieus der gehobenen Mittelklasse und des Großbürgertums im Norden und Westen der Stadt, den Reservoirs des liberal-konservativen Geldadels der Stadt, erlangte die Schillpartei noch bis zu 13 % der Stimmen. Die Wählerschaft der Schillpartei rekrutiert sich in ihrer räumlichen Verteilung also wesentlich aus ehemals proletarischen Hochburgen der SPD und ländlich-kleinstädtischen Gebieten wie den Vier- und Marschlande. Die Schillpartei stärkt das traditionell schwache, konservative Lager der Stadt außerdem dadurch, daß es ihr gelang, neben bürgerlich-konservativen und rechten SPD-WählerInnen auch fast alle WählerInnen rechtsextremer Parteien und viele NichtwählerInnen zu sich zu ziehen.

Im Unterschied zur Mehrheit ihrer WählerInnen ist der Funktionärskörper der Schillpartei dagegen von aufstiegsorientierten Kleinbürgern und Selbständigen geprägt, insbesondere Kaufleuten und Rechtsanwälten. Auch wenn die Schillpartei nicht mit der NSDAP zu vergleichen ist, hat diese Konstellation insofern einige Ähnlichkeiten zum Aufstieg der NSDAP als Partei. Keine Übereinstimmung besteht darin, daß es sich bei der Schillpartei um eine hochorganisierte Bewegung handeln würde. Sie ist bisher eine Wahlpartei, die auf die Unterstützung der konservativen Medien des Springerkonzerns angewiesen ist, um ihr Klientel zu erreichen. Von der faschistischen Rechten unterscheidet die Schillpartei auch, daß sie keinen übergreifenden Gesellschaftsentwurf besitzt, sondern sich im wesentlichen auf das repressive Element beschränkt. Im wesentlichen vertritt sie die Position, daß ihre Politiker die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen würden und diese ihr praktisches Handeln danach ausrichten würden. Die Schillpartei spricht dabei angeblich aus, was die etablierten Parteien nicht zu äußern wagen. Diese Anschlußfähigkeit an autoritär-konservative Grundströmungen läßt die Schillpartei treffend als populistisch erscheinen.

 

Steuerung des Weltkapitals unmöglich

 

Die soziale Situation spricht in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache: Mit dem Umbau des fordistischen Sozialstaates zur Workfare-Agentur werden diejenigen von staatlichen Reproduktionsleistungen ausgeschlossen, die nicht jede schlecht bezahlte Arbeit annehmen wollen. Dies betrifft ganz überwiegend die ArbeiterInnenklasse, während sich die Mittelklassen überwiegend „nur“ mit Abstiegssorgen plagen. Diese existentiellen Bedrohungen und die damit einhergehende Zunahme der Armut (ein Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung verfügt nicht mehr über die Hälfte des Durchschnittseinkommen) stellen die eine Seite der sozio-ökonomischen Entwicklung dar.

Gleichzeitig ist es so, daß dieser Verschärfung der Klassenauseinandersetzung von links kaum etwas entgegen gesetzt wird. Während das Kapital durch zunehmend global vernetzte Produktionsprozesse die VerkäuferInnen von Arbeitskraft weltweit in Konkurrenz setzen kann, fehlt den ArbeiterInnen über soziokulturelle Unterschiede hinweg die Perspektive, wie sie sich dagegen international assoziieren können. Ebenso verfügt die Linke nicht im Ansatz über ein Konzept, wie aus dem Kapitalismus eine sozialistische nichtwarenförmige Gesellschaft aufgebaut werden kann. Der vergangene Realsozialismus führte allseits bekannt nicht in die freie Assoziation der ProduzentInnen. Auch unter einem reformistischen Blickwinkel ist nicht ersichtlich, wie ein Weltstaat aussehen sollte, der den sozialen Desintegrationsprozessen durch einen makroökonomischen Regulationsansatz erfolgreich begegnet. Bezogen auf die unter diesen Voraussetzungen bestehenden staatlichen Handlungsmöglichkeiten ist es so, daß vom Hamburger Landeshaushalt nicht mehr als 5 bis 10 % der Mittel nach politischen Prioritäten eingesetzt werden können. Solange das Kapital seinen Mobilitätsvorsprung verteidigen kann, wird sich daran grundsätzlich nichts ändern, da seine anteilige Besteuerung bei Androhung von Kapitalflucht nicht wesentlich erhöht werden wird.

Die in der Bevölkerung weitverbreitete Feststellung, daß die herrschenden Politiker nichts bewegen würden und somit unerheblich ist, welche Partei an der Macht ist, hat so genommen reale Anknüpfungspunkte. Die beiden Volksparteien SPD und CDU, in Hamburg insbesondere die SPD, verloren vor diesem Hintergrund ab den achtziger Jahren immer mehr WählerInnen an die Gruppe der NichtwählerInnen und an rechtsextreme Gruppierungen (DVU und Republikaner kamen 1997 hamburgweit zusammen auf 8 %). Auch sinkt der Anteil der StammwählerInnen bei den großen Parteien. In ihrer inhaltlichen Ausrichtung orientieren sich CDU und SPD gleichermaßen an dem modernistischen Paradigma einer vorbehaltlosen Ausrichtung auf die Weltmarktkonkurrenz unter Zuhilfenahme von Deregulierung und Flexibilisierung.

 Auch bei der Repressionspolitik unterscheidet sich das Vorgehen von Schily im Bund und Scholz in Hamburg zunächst nicht grundsätzlich von den Ansätzen der CSU in Bayern oder der Schillpartei. Unterschiede lassen sich zwischen dem konservativen und dem sozialdemokratischen Block teilweise noch in der Bürgerrechtspolitik oder in Ansätzen zur sozialen Integration erkennen. Die etwas liberaleren Ansätze von Rot-Grün in der Einwanderungspolitik müssen jedoch ebenfalls als Beitrag zur ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit verstanden werden. Die jetzt in Hamburg vom Rechtsblock vorgenommenen und noch zu erwartenden Kürzungen im sozialen Bereich, insbesondere für Jugend-, Frauen- und MigrantInnenprojekte und bei Beschäftigungsgesellschaften, wären so von Rot-Grün nicht zu erwarten gewesen. Im Kernbereich des Sozialstaates, der Sozialhilfe, hatte die rot-grüne Regierung in der letzten Legislaturperiode jedoch schon so weitgehende Einsparungen vorgenommen, daß sich für den gegenwärtigen Rechtssenat kaum noch Einsparmöglichkeiten ergeben.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß sich die in Hamburg abgewählte rot-grüne Regierung bei Unterordnung unter das modernistische Regime auch der revanchistischen, altfordistischen und alternativen Regulationsformen bediente. Der Hamburger Rechtssenat setzt dagegen fast ausschließlich auf eine Kombination modernistischer und revanchistischer Strategien. Das Herrschaftsinstrumentarium von Rot-Grün war somit gesellschaftlich umfassender und damit auch flexibler. Für den zweidimensionalen Ansatz des Rechtsblockes spricht dagegen dessen größere Stringenz nach innen und außen sowie die Tatsache, daß sich im Bereich der sogenannten Sicherheitspolitik noch allgemein wahrnehmbar eingreifen läßt. Wenn der Rechtssenat DrogenkonsumentInnen und Obdachlose vom Hauptbahnhof vertreibt oder mehr geschlossene Haftplätze baut, dann signalisiert dies zumindest oberflächlich Handlungsfähigkeit.

Die breiten, bunten und für Hamburger Verhältnisse relativ großen Protestdemonstrationen von mehr als 10.000 Leuten gegen die Sparpolitik des Rechtssenates im sozialen Bereich spiegeln diejenigen Segmente der Gesellschaft, welche die alternativen und altfordistischen Regulationsformen unter der letzten Regierung getragen haben. Obwohl Rot-Grün mit seinem vielfältigen Ansatz eigentlich eine breitere gesellschaftliche Ausgangsbasis besitzen sollte, haben sie gleichwohl die Wahlen vor einem Jahr verloren. Liegt dies vor dem skizzierten sozio-ökonomischen Hintergrund daran, daß breitere Teile der Bevölkerung und die herrschenden Eliten, insbesondere unter Nutzung der veröffentlichten Meinung, eine so eindeutige Verengung auf autoritäre Muster vollzogen haben, auch in wesentlichen Teilen der gegenwärtigen WählerInnenschaft der SPD, daß eine unter Weltmarktbedingungen erfolgreiche Wirtschaftspolitik der SPD abgewählt wird, weil sie neben der revanchistischen auch die sozialintegrative und alternative Karte gespielt hat?

 

Jenseits des liberalen Rechtsstaates

 

Eine Annäherung an die Beantwortung dieser Frage ergibt sich unter Umständen daraus, wenn näher beleuchtet wird, in welchen Bereichen die jetzige, unter dem Hamburger SPD-Bügermeister Voscherau Anfang der 90er Jahre begonnene, Hamburger Innen- und Justizpolitik über die ehedem von der SPD verfolgte Linie hinausgeht. Im Strafvollzug will Justizsenator Kusch von der CDU an süddeutsche Verhältnisse anknüpfen, indem massiv geschlossene Knäste ausgebaut werden und eine abschreckende sowie strafende Gefangenschaft laut Kusch als „übelzuführend“ propagiert wird. Dies schließt eine herkömmliche Resozialisierungsabsicht aus. Gleichzeitig wird durch den Abbau von Spritzenautomaten die Gesundheit der Gefangenen gefährdet.

Nach dem Tod des vermeintlichen „schwarzen Intensivdealers“ Achidi John im Dezember 2001 durch einen Brechmitteleinsatz war aus der Bürgerschaftsfraktion der Schillpartei und aus dem Munde des konservativen Justizsenators zu hören, daß „Dealer, die durch Drogenverkauf das Leben anderer gefährden hinnehmen müssen, daß ihr Leben durch Brechmitteleinsätze gefährdet wird“. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses der Hamburger Bürgerschaft, ebenfalls ein Schillianer, plädierte kürzlich dafür, nichtdeutsche HIV-Positive, Hepatitis- oder TBC-Kranke zu "internieren". Der zweite Bürgermeister Schill ließ mehrmals verlauten, zuletzt in seiner Rede als Vertreter Hamburgs vor dem Bundestag, daß MigrantInnen den „deutschen Wohlstand verfrühstücken würden“.

Offensichtlich wird mit solchen Positionen der gültige bürgerlich-rechtsstaatliche Konsens verlassen beziehungsweise neu definiert und als bürgerlich-autoritärer nach rechts verschoben, wenn der Verlust des grundlegendsten Menschenrechts, jenes auf Leben, damit gerechtfertigt wird, daß verbotene Substanzen verkauft werden. Auch ist es bisher noch nicht so, daß einer vermeintlichen Gefahr für die öffentliche Gesundheit damit begegnet wird, daß diejenigen, die keinen deutschen Pass haben, ihre Freiheit verlieren, während die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin als vermeintliche Infektionsüberträger durch die Stadt laufen darf. Die Äußerungen von Schill zur Produktion und Konsumtion des Wohlstandes in der Bundesrepublik sind schlicht demagogisch. Eine faktische Einwanderungspolitik gibt es in der Bundesrepublik u.a. deshalb, weil junge Frauen und Männer, die zum Leben oder Arbeiten nach Deutschland kommen, hier keine Erziehungs- und Ausbildungskosten verursachen und deshalb überdurchschnittlich zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen.

Wie unter Rot-Grün wird auch vom Rechtssenat der weltmarktbezogenen Wachstumsstrategie Priorität eingeräumt. So ließ CDU Bürgermeister Beust nach der Forderung, Kranke zu internieren vernehmen, daß durch solche Vorschläge nicht der Ruf der „Weltstadt Hamburg“ gefährdet werden dürfe. In der Aufregung nach dem Auftritt von Schill vor dem Bundestag ging es der CDU zunächst wiederum nur darum, daß das Ansehen Hamburgs durch die Art des Auftrittes Schaden litte, da er sich über die Anweisungen der Bundestagsleitung hinweggesetzt habe. Erst in einer zweiten Runde der Auseinandersetzung folgte zum ersten Mal ein inhaltliches Argument, wonach „ausländerfeindliche Äußerungen dem weltoffenen Charakter Hamburgs schaden würden“. Vor dem Hintergrund, daß die Hamburger Wirtschaft als Handels- und Dienstleistungszentrum wesentlich vom internationalen Austausch lebt, sind solche Äußerungen nicht überraschend. Sie machen jedoch allen, gerade den Betroffenen, klar, daß es sich dabei nur um ein instrumentelles Verhältnis handelt. Insofern kann für die augenblickliche Situation festgehalten werden, daß repressiv-revanchistische Elemente so weit ausgebaut werden dürfen, wie sie die Wachstumsstrategie nicht zurückwerfen bzw. insofern sie dazu beitragen, die Weltmarktstrategie durch eine autoritäre Ausrichtung zu flankieren. Noch testet die Schillpartei diese Grenzen nur aus und lässt sich auch aus Gründen des Machterhaltes einbinden.

Vor dem geschichtlichen Hintergrund des deutschen Nationalsozialismus und den Faschisierungsthesen aus den siebziger Jahren (demnach diente die parlamentarische Demokratie in Erwartung kommender Kämpfe der ArbeiterInnenklasse nur noch als Fassade, indem durch den Abbau demokratischer Rechte die Voraussetzungen für eine faschistische Diktatur geschaffen werden sollten) müßte jedoch auch die Frage beleuchtet werden, inwieweit aus einer im wesentlichen flankierenden Funktion revanchistischer Regulationsmechanismen eine darüber hinausgehende Eigendynamik entstehen kann oder bereits gegenwärtig absehbar ist. Festgestellt werden kann, daß seit der Notstandsgesetzgebung 1968 bis zum letzten „Sicherheitspaket“ der sozialdemokratisch-grünen Bundesregierung kontinuierlich die Befugnisse der Polizei und Geheimdienste ausgebaut und die politischen Freiheits- und Schutzrechte vom Demonstrations- bis zum Asylrecht eingeschränkt wurden. Diese Entwicklung widerspricht nicht der Tatsache, daß in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen liberale Modernisierungen zum Tragen kommen können. Schwulen und Lesben wurden jetzt von der Bundesregierung mehr bürgerliche Rechte zuerkannt, während die Werbung oder ganze Industriebranchen schon seit Jahren auf sie abzielen. Der öffentliche Ordnungswahn in Singapur oder das auf einer Lagerökonomie beruhende Gefängnissystem in den USA zeigen jedoch, daß eine erfolgreiche Weltmarktkonkurrenz auch unter teilweise äußerst repressiven Bedingungen möglich ist.

 

Hegemonie der autoritären Formierung

 

Ab einem gewissen Grad gewinnen die vielen einzelnen innenpolitischen Verschärfungen in ihrer Gesamtheit eine neue Qualität, hin zu einer autoritär formierten Gesellschaft. Diese verläßt den Rahmen einer liberalen Demokratie. Nicht mehr die Verwirklichung formaler bürgerlicher Freiheitsrechte stünde im Vordergrund, sondern die gewollte und erzwungene Unterwerfung unter einen starken, ordnenden und strafenden Staat. Der von Joachim Hirsch ab den 70er Jahren beschriebene "Sicherheitsstaat" würde in eine autoritäre Zurichtung der Gesellschaft übergehen. Eine solche Situation wäre noch nicht mit einem faschistischen Regime gleichzusetzen, das neben seiner Massenbasis auch auf offenem und allumfassenden Terror beruht. Ein autoritäres Regime, einschließlich einer ideologischen Massenbasis, könnte jedoch gegebenenfalls einen weiteren Schritt in diese Richtung darstellen oder schon genuin faschistische Elemente einflechten.

Ob wir uns bereits in einer autoritär formierten Gesellschaft befinden oder sich eine schwer umzukehrende Tendenz in diese Richtung abzeichnet, vermögen wir zur Zeit nicht eindeutig festzustellen. Wenn die europaweite Zunahme revanchistischer Tendenzen Ausdruck einer kapitalistischen Verwertungskrise ist, dann spräche dies dafür, daß gegenwärtige oder zukünftige autoritäre Regime eine nicht unerhebliche Tendenz zum Übergang in eine faschistische Form entwickeln könnten. In Zeiten, in denen Gesellschaften gänzlich ökonomisch und sozialpolitisch auseinander zu fallen drohen, werden von herrschender Seite mit einer gewissen Regelmäßigkeit diktatorische beziehungsweise staatsterroristische Vorgehensweisen erwogen, um die Situation politisch zu stabilisieren. Während die europäischen Faschismen des 20. Jahrhunderts nicht unwesentlich auf die Zuspitzung von offenen Klassenkämpfen zurückgeführt werden können, ist die gegenwärtige Situation in den westlichen Industriestaaten überwiegend von einer sozialen Fragmentierung geprägt.

Die faschistische „Lösung“ einer Verwertungskrise wäre um so leichter durchzusetzen, desto mehr auf einen schon etablierten autoritären Konsens zurück gegriffen werden könnte und die Linke, wie derzeit, politisch schwach ist. Stehen die gegenwärtigen revanchistischen Tendenzen dagegen eher im Zusammenhang mit dem grundsätzlichen Kräfteverhältnis von Arbeit und Kapital im Postfordismus, dann könnten autoritäre Regime gegebenenfalls zu einer dauerhafteren und stabilen Erscheinung werden. Dann dient ein autoritäres Regime nicht primär dazu, ggf. Grundsteine für einen neuen Faschismus zu legen, sondern gewährleistet vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Machtposition des Kapitals, dass die soziale Fragementierung und Polarisierung nicht in einer politischen Krise und dem Wiederaufflammen von offenen Klassenkämpfen mündet.

Aus unserer Sicht spricht mehr für den zweiten Entwicklungszusammenhang. Wir trauen dem postfordistischen Kapitalismus weiterhin ein gehöriges Entwicklungspotential zu. Seine Flexibilisierungs- und Vernetzungsmöglichkeiten scheinen uns noch lange nicht erschöpft. Aber wer weiß, ob es wirklich so ist, irgendwann kommt die nächste Verwertungskrise. Im historischen Rückblick wird deutlich, daß die grundlegenden Verwertungskrisen des 20. Jahrhunderts, in den Jahren 1923-29 und 1972-74 erst mit einem Abstand von mehreren Jahren als solche erkannt wurden. Zu dem Zeitpunkt, als klar wurde, daß sich ein neues Akkumulationsregime durchsetzte waren die korrelierenden Regulationsformen schon im Ansatz etabliert, so daß sie im politischen Kampf nicht mehr grundsätzlich negiert wurden. Unter den Bedingungen einer Krise kann die Bestimmung der Klasseninteressen auch dazu führen, daß nach Antworten quer oder außerhalb des scheinbar vorgegebenen Rahmens gesucht wird. Argentinien steht dafür zur Zeit als Beispiel. Es kann aber auch zu autoritär-marktradikalen Einschnitten kommen, wie unter der Diktatur Pinochets in Chile, die beispielgebend war. Staatsreformistische Ansätze wie ehemals in Nicaragua sind dagegen regelmäßig einem äußeren politischen und unter Umständen. auch militärische Druck ausgesetzt. Sich unter den Voraussetzungen einer Verwertungskrise von links zugleich der herrschenden ökonomischen als auch der politischen Logik zu widersetzen, das heißt sowohl anti-staatlich und anti-kapitalistisch zu agieren, ist ungemein schwer. Denn die relativ freie Dynamik des sozialen Kräftespiels mündet bei einer Zuspitzung eher in autoritären oder faschistischen Entwicklungslinien, da diese eine unmittelbare Beruhigung der Situation versprechen. 

Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, inwieweit die revanchistisch-modernistischen Regulationsformen die eigentlich hegemoniale Form des postfordistischen Akkumulationsregimes darstellen. Der Fordismus war im weiteren Sinne ein sozialdemokratisches Zeitalter, einschließlich seiner sozialkonservativ-korporatistischen Regimes. Der Neo-Konservativismus von Reagan, Thatcher bis Kohl brach das fordistische Regime auf, während sich die Versuche von New Labour bis Rot-Grün als daran anknüpfende Modernisierungsversuche erweisen sollten. Bisher waren wir davon ausgegangen, daß sich im Postfordismus noch kein hegemoniales Regulationsmuster herausgebildet hat. Vielleicht besteht dies nun darin, daß regionale und betriebliche Korporatismen in weltweiter Konkurrenz im wesentlichen autoritär in ethnisierten oder nationalistischen Formationen zusammen gehalten werden. Die durch die Weltmarktkonkurrenz verstärkte soziale Fragmentierung führt im amerikanischen Weg zu einer Verschärfung der autoritären Segregation und einer sozialen Disziplinierung durch Armut. Das europäische Modell scheint auf die repressive Durchsetzung einer neuen Homogenität hinauszulaufen. Mit diesen unterschiedlichen Wegen würde auch deutlich, daß sich aus der ökonomischen Umstrukturierung nicht die Form der autoritären Regime ableiten ließe, sondern nur deren Tendenz zur Durchsetzung im herrschenden Interesse. Die hegemoniale Formierung, die sich dann abzeichnen würde, wäre eine neue Identität von sozio-ökonomischer Basis und politischer Formierung, ein von oben und unten getragenen allmächtigen Leviathans.

Der Hamburger Rechtssenat unter CDU und Schillpartei trägt das seine zu einer solchen Formierung der Gesellschaft bei. Wir hoffen, daß die Problematik einer autoritären Formierung, unabhängig davon, welche Parteienkonstellation sie betreibt, weiterhin kritisch in der Linken untersucht und diskutiert wird. Und dies ohne, daß vorschnell eine Faschisierung festgestellt wird oder vor lauter zivilgesellschaftlicher Rhetorik die Gefahren der gegenwärtigen Entwicklung nicht gesehen werden.

 

gruppe demontage, Hamburg im Oktober 2002