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  Nach der demontage? Bricolage!

Erklärung zur Gründung der gruppe bricolage


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Die gruppe bricolage versteht sich in der inhaltlichen und organisatorischen Tradition der gruppe demontage, die sich im Mai 2004 nach fast neunjährigem Bestehen aufgelöst hat. Aus einem Teil der ehemaligen Gruppe entstand die Initiative zur Gründung der gruppe bricolage. Kollektive politische Organisierung halten wir weiterhin für sinnvoll, um eine theoretische wie praktische Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse zu betreiben. Das schließt für uns auch eine Hinterfragung von Formen und Inhalten linken Protestes und Widerstandes sowie der eigenen linken Traditionen mit ein.

Linksradikale Gesellschaftskritik für einen kosmopolitischen Kommunismus
Wir bezeichnen uns als kosmopolitisch, weil eine allgemeine Emanzipation der Menschen nur als weltweites Projekt zu realisieren ist. Bezugspunkt dieses Projekts sind die Menschen und ihre Praxen, nicht die Nationen und ihre Repräsentanten. Darum bevorzugen wir den Begriff des Kosmopolitismus gegenüber dem des Internationalismus. Spätestens seit dem die Kommunistische Internationale die jeden nationalen Rahmen sprengende Losung des kommunistischen Manifestes, "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" um die zu vereinigenden "unterdrückten Völker" erweiterte, ist mit dem Begriff des Internationalismus ein positiver Bezug auf die Kategorie der Nation verbunden. Weitsichtig kritisierte bereits Rosa Luxemburg in "Die russische Revolution" an Lenin und den russischen RevolutionärInnen, dass diese den "ganzen Apparat der demokratischen Grundfreiheiten", aus denen sich das "Selbstbestimmungsrecht" der Massen bilden könnte, gering schätzten, während sie "das Selbstbestimmungsrecht der Nationen als ein Kleinod der demokratischen Politik" behandelten und damit "den eigenen Feinden das Messer in die Hand gedrückt" haben.

Der Bezug auf die Nation verschleiert Widersprüche innerhalb der Gesellschaft. Er lädt zudem dazu ein, die gesellschaftlichen Erscheinungen des abstrakten Kapitalverhältnisses als äußere Bedrohung der nationalen Produktionsgemeinschaft durch international agierendes spekulatives Finanzkapital zu begreifen. Aus der sozialen Befreiung wird dann die nationale und das Finanzkapital als gemeinsamer Gegner das Verbindende der Kämpfe, das um so dringlicher als Subjekt (an)greifbar gemacht werden muss. Ein solcher (Inter)Nationalismus kann einem zentralen Merkmal des modernen antisemitischen Denkens den Boden bereiten: der Verkörperung des abstrakten Kapitalverhältnisses und des Kosmopolitischen im Bild des "wurzellosen Juden". In der so möglichen Verknüpfung von Antikapitalismus und Antisemitismus gründet ein spezifischer Antisemitismus in der Linken. Im Zeichen des Kampfs gegen den Kosmopolitismus führten die so genannten kommunistischen Parteien des Ostblocks antisemitische "Säuberungen" durch. Unser Bezug auf den Kosmopolitismus ist auch eine Kritik an dieser verhängnisvollen Tradition.

Dennoch beziehen wir uns positiv auf den Kommunismus, als dem Projekt der Verwirklichung einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Karl Marx' Kritik der politischen Ökonomie ist die bisher radikalst. Sie geht sowohl vom praktischen Handeln der Menschen als auch dessen historischer und gesellschaftlicher Bindung aus. Die damit verbundene Perspektive einer eingreifenden und (selbst)verändernden Verbindung von Denken und Handeln, hat bis heute nichts von ihrer Bedeutung für eine emanzipatorische Bewegung zur Aufhebung aller Herrschaftsverhältnisse eingebüßt. Das Scheitern der bisherigen Versuche, Kommunismus in die Tat umzusetzen widerlegt das emanzipatorische Potential der marxschen Kritik nicht. Die Geschichte kommunistischer Bewegungen kann aber auch nicht mit einem lapidaren "wir sind's nicht gewesen" weggewischt werden. Die kritische Auseinandersetzung mit dieser Tradition ist für uns Bestandteil der eigenen Praxis. So erweist sich das marxsche Denken nicht als ein Gedankengebäude, das eingerissen oder verteidigt werden kann, und auch nicht als Anleitung zur reinen Ideologiekritik, sondern als eine Herausforderung an den kritischen Verstand. Ein Werkzeug für die praktische Überwindung der herrschenden Verhältnisse.

Der für unsere Gruppe namensgebende Begriff "bricolage" (italienisch und französisch für Basteln) bezieht sich auf Basteln, als einer Form der Aneignung, Erarbeitung und Anwendung von Wissen. Das Bild des Bastlers, der seine Tätigkeit ausübt aufgrund einer Praxis, die er selbst entwickelt hat, steht bei Claude Levi-Strauss dem Bild des Ingenieurs gegenüber, dessen Aktionsfeld auf schematischem Wissen basiert. In "Das wilde Denken" schrieb er 1962:
    "Der Bastler ist in der Lage, eine große Anzahl verschiedenartigster Arbeiten auszuführen; doch im Unterschied zum Ingenieur macht er seine Arbeiten nicht davon abhängig, ob ihm die Rohstoffe oder Werkzeuge erreichbar sind, die je nach Projekt geplant und beschafft werden müssen: die Welt seiner Mittel ist begrenzt, und die Regel seines Spiels besteht immer darin, jederzeit mit dem, was ihm zur Hand ist auszukommen".
Für uns steht das Basteln der "gruppe bricolage" nicht nur vom Wortklang her in der Nachfolge der "gruppe demontage". Nach wie vor geht es uns darum, die deutsche Nation zu demontieren, um zu einer Bewegung der Emanzipation von den herrschenden Verhältnissen beizutragen, zeitgemäße Subversion zu befördern.

Unter Linken in Deutschland ist es in den letzten Jahren zu verstärkten Abgrenzungen und Diskussionsverweigerungen gekommen: Wer an dem Konzept der Nation und an Deutschland grundsätzliche Kritik übt, wer in antisemitischen Äußerungen und Argumentationsmustern, ebenso wie in sexistischen und rassistischen, keine zu vernachlässigenden Nebensächlichkeiten sieht, der oder die gilt vielen bereits als AgentIn der Gegenseite. Andererseits verkommt solche Kritik bei manchen dazu, sich rhetorisch vor allem über andere zu erheben und die eigene Verwicklung in die Widersprüche der (nicht nur) kapitalistischen Gesellschaft zu verdecken. Auch wenn wir uns durch eigene Positionierung inhaltlich von anderen abgrenzen, so ist das nicht unser eigentliches Ziel. Kritik an der deutschen Gesellschaft und ihren linken Teilen sehen wir als eine Chance, linke Positionen weiterzuentwickeln und so zu einer emanzipatorischen Bewegung beizutragen, die auf einen kosmopolitischen Kommunismus zielt.

Wenn wir unser Ziel derart allgemein formulieren, klingt das wortgewaltig. Dabei ist diese Form doch eher Ausdruck der Schwierigkeit, die selbstgestellten Ansprüche in alltägliches Handeln zu überführen, geschweige denn damit über kleine Kreise von Linken hinaus wirkungsmächtig zu werden. Linke Positionen sind weit davon entfernt, eine Hegemonie in der Gesellschaft zu erlangen. "Volksnahe" wie "antideutsche" linke RealpolitikerInnen verkennen gleichermaßen ihre reale Bedeutungslosigkeit, egal ob sie nun meinen, die proletarischen Massen seien mit ein wenig Zureden zur Revolution zu bewegen, oder ob sie glauben irgendwelchen Regierungen antideutsche Politikberatung und Unterstützung andienen zu können. "Realistisches" Handeln ist heute vor allem die Analyse und Kritik des Zustands der deutschen Gesellschaft und der Welt. Eine solche Grundlage lässt sich unserer Einschätzung nur in der Verbindung von theoretischer und praktischer Aktivität entwickeln, als ein beständiges Ausprobieren, als radikale Bastelarbeit. Der Versuch, mit linksradikalen Inhalten in die Entwicklung von sozialer wie politischer Gegenwehr von unten zu intervenieren, ist ein Teil davon. Dies in Deutschland gegen Deutschland zu richten, ist uns dabei ein besonderes Anliegen. Wir würden uns freuen, wenn es uns gelänge, mit unserer Arbeit Resonanzen zu erzeugen, wenn diese Gedanken langfristig breitere Kreise ziehen und auf Zustimmung stoßen würden. Auf welche Weise sollte sonst die Welt grundlegend verändert und Herrschaftsverhältnisse abgeschafft werden können?

Zur Auflösung der gruppe demontage:
In den letzten ein bis zwei Jahren wurde eine kritische Arbeit im oben genannten Sinne in der gruppe demontage bedauerlicherweise zunehmend schwierig. Um die Unterstützung der Berliner Demonstration gegen Antisemitismus und Antizionismus im Frühjahr 2002 gab es im Nachhinein Auseinandersetzungen, weil der Aufruf unter dem Motto "Solidarität mit Israel" stand. Zwei Positionen standen sich gegenüber, eine kollektive Positionierung war nicht möglich. Anfang 2003 wurde in der Gruppe gefordert, aufgrund der Differenzen Kritiken in diesem Themenfeld zukünftig auch als individuell gekennzeichnete Äußerung zu unterlassen. Anlass war ein namentlich gekennzeichneter konkret Artikel von Gaston Kirsche, der unter anderem eine Formulierung in dem Flugblatt einiger Hamburger Autonomer "Naher Osten - Ferner Westen" als antisemitisch kritisierte. Als der im Juni 2003 stattgefundene münchener SPOG-Kongress im Vorfeld von Robert Kurz und anderen hanebüchen als Treffen antideutscher Kriegstreiber beschimpft wurde, verweigerte ein Teil der Gruppe die bereits zugesagte Beteiligung an den Kongress-Debatten. In der Arbeit an gemeinsamen Artikelprojekten kam es zunehmend zu Spannungen aufgrund unterschiedlicher Arbeits- und Argumentationsweisen. Um den im Buch zum SPOG-Kongress veröffentlichten Beitrag der Gruppe gab es ein langes Ringen, das sich vielleicht mit dem Widerstreit zwischen "Bricoleur" und "Ingenieur" umschreiben lässt. Die internen Differenzen waren, trotz mehrmonatiger Klärungsversuche, nicht mehr zu überbrücken. Nach neun Jahren intensivem gemeinsamen Arbeiten blieb im Mai 2004 nur noch die Auflösung der gruppe demontage. Gemeinsam mit neuen Leuten will ein Teil der ehemaligen gruppe demontage nun deren Arbeit in der gruppe bricolage aufgreifen und weiterentwickeln.

gruppe bricolage, Hamburg im Herbst 2004

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Kontakt zur gruppe bricolage

Zu erreichen sind wir per e-mail: mail@gruppe-bricolage.org

und per klassischer Post:
gruppe bricolage
Postfach 306 132
20327 Hamburg.

Bitte habt Verständnis, wenn wir nicht immer sofort antworten können.

 
 
letzte Änderung: 27.12.2004